Die drei alten Weiber von Venedig. Schwank aus Italien
Im zauberhaften Venedig stand ein altes Haus, und dort lebten drei Frauen.
Sie waren nicht mehr die jüngsten, die eine war 67, die zweite 75 und die
dritte war gerade 94 Jahre alt geworden. Das Haus hatte einen großen Balkon,
und auf dem saßen die drei Tag für Tag und blickten auf die Menschen, die dort
entlanggingen. Einmal aber entdeckte die 94-jährige einen Jüngling, so
wunderschön, dass ihr das Blut zu Herzen schoss. Er war aber nicht nur
wunderschön, er war auch in Samt und Seide gekleidet, denn es war der Sohn des
Dogen von Venedig. (Der Doge ist ein mächtiges Oberhaupt einer Provinz.)
„Was für ein wunderschöner Jüngling!“ seufzte also die 94-jährige, und
schon träufelte sie ein gar liebliches Parfüm auf ein Seidentüchlein und warf
es vom Balkon hinab, gerade als der wunderschöne Jüngling vorüber
schritt. Kaum hatte der Jüngling das Tüchlein in die Hand genommen,
verbreitete sich ein so lieblicher betörender Duft, dass er sich sagte: „Wenn
schon das Tüchlein so lieblich duftet, wie schön muss da erst das Mädchen
sein!“ Und anstatt seinen Weg fortzusetzen, klopfte er an die Tür
des alten Hauses, wo die drei Alten wohnten.
„Wohnt hier die Schöne, der das Tüchlein gehört?“ fragte der Sohn des
Dogen. „Das versteht sich, dass hier die Schöne wohnt!“ lachte die
siebenundsechzigjährige, die die Tür einen Spalt geöffnet
hatte. „Erlaube“, sprach da der Sohn des Dogen, „dass ich ihr meine
Aufwartung mache und ihr in das schöne Antlitz schaue!“ Die Alte war ein
listiger Kopf, also sprach sie: „Das geht nicht! Unsere Schöne darf
vor ihrer Hochzeit ihr Antlitz nicht zeigen!“ „Oh!“ rief der Sohn des
Dogen, dessen Herz schon heiß entflammt war. „Dann will ich sie zur Frau
nehmen!“ „Wenn es so ist“, meinte die Alte wieder, „so komm morgen um
dieselbe Zeit wieder, dann werden wir weitersehen.“ Dann warf sie ihm
die Tür vor der Nase zu.
Der Jüngling eilte nach Hause, um den Eltern von seinem großen Glück zu
erzählen. Aber sein Vater, der Doge von Venedig war und die ganze Stadt wie
seine Hosentasche kannte, schüttelte verwundert den Kopf: „Ich weiß
nicht, ich weiß nicht, mein Sohn. In jenem Haus wohnen nur drei alte Weiber.
Eine von ihnen muss ja mit dir gesprochen haben.“ Die Mutter, die zwar
die Stadt Venedig nicht so gut kannte wie ihr Gemahl, aber dafür die Vorzüge
und Schwächen der Welt, meint: „Du bist ja bis über beide Ohren verliebt,
mein Sohn. Darum sei auf der Hut und kaufe den Hasen nicht im Sack, sonst
könnte es dir schlecht ergehen.“
Der Sohn des Dogen nahm sich die Worte der Eltern zu Herzen, als er sich am
anderen Tag auf den Weg machte. Sie 67-jährige begrüßte ihn ehrerbietig, aber
der Jüngling sprach: „Wenn ich vor der Hochzeit nicht das Antlitz meiner
Schönen schauen darf, dann soll sie mir ihre Hand zeigen.“ „Wie du
wünschest“, erwiderte die Alte und verbeugte sich dabei artig. „So komm morgen
um dieselbe Zeit wieder.“
Im Garten hatten die drei Weiber nämlich eine Alabasterstatue der
Liebesgöttin Venus. Ihr brachen sie einfach die Hand ab, und als am nächsten
Tag der Sohn des Dogen an das Tor klopfte, wurde die Balkontür einen Spaltbreit
geöffnet, und durch die halbgeöffnete Tür steckten die anderen Schwestern die
Alabasterhand der Venus heraus, dass der Sohn des Dogen glaubte, es wäre die
Hand des schönen Mädchens. „Ach, welch eine liebliche Hand!“ rief er
gleich wie verzaubert aus, und weil beim Essen auch der Appetit kommt, bat er,
auch noch den Fuß der Schönen schauen zu dürfen. „Komm morgen um
dieselbe Zeit wieder!“ hörte er eine Stimme.
Und schon brachen die drei Weiber der Venusstatue auch noch ein Bein ab und
alles wiederholte sich dann wie beim ersten Mal. „Ach, welch ein lieblicher
Fuß!“ rief der Sohn des Dogen. „Sofort soll die Hochzeit ausgerichtet
werden!“ Und so war es. Und dann wurde die neunmal verschleierte
Braut geholt, in die prächtige Gondel gesetzt und nach der Hochzeit in die Gemächer
des Ehemannes getragen. Nun waren sie allein! Der Sohn des Dogen war schon ganz
ungeduldig, die Schönheit seiner Braut zu schauen, lüftete einen Schleier nach
dem anderen, bis er endlich in höchster Verzückung auch den letzten Schleier
hob. Er erstarrte vor Schreck, statt einer Schönheit erblickte er im
Kerzenschein eine verhutzelte Alte – die 94-jährige! „Du hast mich
getäuscht!“ schrie er außer sich, fasste die Alte beim Rock und schleuderte sie
durch das geöffnete Fenster hinaus. Dann legte er sich nieder und schlief
ein. Unter dem Schlafzimmerfenster jenes Palastes wuchsen damals viele
Maulbeerbäume – und als das Weiblein kopfüber aus dem Fenster flog, blieb es,
nachdem es sich einige Male überschlagen hatte, an den Ästen hängen.
In dem Augenblick kamen drei Feen vorüber. Sie waren ausgelassen und
fröhlich, weil sie gerade von einer Hochzeit kamen. Und als das Weiblein seine
tollen Purzelbäume vollführte und dann wie ein Himmelsbote an den Ästen hängen
blieb, da mussten sie schrecklich lachen. Die drei Feen hatten aber ein gutes
Herz. So besannen sie sich nicht lange und sagten: „Wir haben uns köstlich
amüsiert! Dafür sollten wir das Weiblein belohnen!“ Da sprach die erste:
„Ich wünsche, dass es so jung ist wie ich!“ Da sprach die zweite: „Ich
wünsche, dass es so schön ist wie ich!“ Da sprach die dritte: „Ich
wünsche, dass es so lustig ist, wie wir es sind!“ Und wirklich, kaum hatten sie
das gesagt, verwandelte sich das Weiblein in eine solche Schönheit, wie die
Welt schon lange nicht mehr gesehen hatte.
Als sich der Sohn des Dogen am Morgen an die hässliche Braut erinnerte,
eilte er gleich ans Fenster. Aber was sah er da! An den Ästen der Maulbeerbäume
hing ein schönes und blutjunges Mädchen. Und wenn es lachte, war es, als ob
Glöckchen klängen. „Was habe ich nur getan!“ schluchzte der Jüngling und
bedeckte sein Antlitz mit den Händen. „Sie ist ja schön wie der junge Tag – und
ich habe sie aus dem Fenster geworfen!“ Dann aber schaute er sich
aufmerksam im Zimmer um, nahm das Betttuch, drehte es zu einem Seil und ließ es
langsam hinunter gleiten. Kaum hatte das Mädchen das Seil erfasst, zog es der
Jüngling empor. Und als er die Schöne auf den Rosenmund geküsst hatte, bat er
unter Tränen, ihm zu vergeben und alles zu vergessen.
Und das Mädchen verzieh ihm gern, das versteht sich, hatte es doch durch
den Fenstersturz Jugend und Schönheit erhalten. Und während es den Kopf neigte,
lächelte es so liebreizend, dass seine Schönheit noch mehr erblühte.
Am nächsten Morgen kamen die beiden Schwestern, die siebenundsechzigjährige
und die fünfundsiebzigjährige, in den Palast, um die Schwester zu besuchen. Und
als sie das Wunder erblickten, da blieb ihnen vor Staunen der Mund offen
stehen. Dann aber besannen sie sich, nahmen die Schöne beiseite und fragten: „Sapperlot,
Schwester, wie hast du denn das nur angestellt?“
Natürlich wollte die Schöne die Wahrheit nicht eingestehen, die jüngeren
Schwestern würden es ohnehin nicht glauben, und so sprach sie: „Ich habe
mich beim Tischler zurechthobeln lassen!“ „Was?“ riefen die beiden wie aus
einem Munde und machten sich ohne Zögern auf den Weg zum Tischler. Der
Tischler war sehr erstaunt, als er den seltsamen Wunsch der beiden Weiblein
hörte. Aber er konnte reden wie er wollte, sie ließen sich nicht abweisen.
Da nahm der Tischler kurzerhand den Hobel und fuhr ihnen so über den
Rücken, dass die beiden meinten, er wolle sie klitzeklein hobeln. Da scherten
sie sich weder um Schönheit noch um Jugend und liefen davon, was die Beine
hergaben. Und die Schöne? Nun, die war restlos glücklich, und weil
sie auch klug war und schweigen konnte, so endete noch alles gut. So wenigstens
erzählt es das Märchen.
Ein
venezianisches Märchen, aus der Sammlung "Fiabe Italiane" Schöne Märchen, aus
volkstümlichen Motiven gesponnen von Luigi Capuana, 1839 – 1915