Donnerstag, 1. März 2018

Das Wunderkraut





Das Wunderkraut

Tief drinnen im Pinzgau, in dem kleinen Dorf Niedernsill, da lebte einmal junger Bursche, der sich über den Sommer bei einem reichen Bauern als Ziegenhirte verdingte. Also war er in den Sommermonaten droben auf der Alm, in den Bergen, bis zu dem Tag an dem das passierte, was man als Hirte am liebsten überhaupt nicht erleben möchte. Eine der Ziegen fehlte, spurlos verschwunden. „Ob ihr irgendetwas passiert ist? Sie sind mir anvertraut. Ich bin für das Wohlergehen der Tiere verantwortlich.“
Also machte er sich sogleich auf die Suche, ruft nach dem Tier, kam immer höher hinauf. Er war bereits im unwegsamen Gelände unterwegs und dann war er am Ende ganz oben. Ein machte einen vorsichtigen Schritt über den Felsvorsprung, ein Blick hinab in die Tiefe. War das Tier vielleicht abgestürzt?
Und in dem Moment passierte es. Vielleicht war der Stein, auf dem er stand, vom letzten Regen noch rutschig, vielleicht war ihm bei dem Blick in die Tiefe schwindelig geworden. Er verlor das Gleichgewicht, kippte vornüber, ruderte noch wild mit den Armen und versuchte irgendetwas zu greifen. Aber das Einzige, was er fassen konnte, war ein Kräutlein, eine Blume, die unter seinem Gewicht brach. Und dann stürzte er hinab, fiel in die Tiefe.
Dunkelheit umgab ihn. Als er die Augen wieder auf machte, und allein die Tatsache, dass er es tun konnte ist erstaunlich genug, musste er die Augen auch sogleich wieder zusammen kneifen, weil ein Licht ihn blendete – strahlend hell.
Vor ihm da standen drei Frauen. Und diese drei waren so strahlend schön, dass sie ihn beinahe blendeten. Er begriff sogleich. Das waren keine Menschenfrauen aus dieser Welt, das waren Salige, die guten Geister des Berges.
Eine von ihnen sprach zu ihm und sagte: „Busche, du musst wahrhaftig ein Glückskind sein, denn kein Mensch kann so einen Sturz überleben. Sieh doch an, was dir das Leben gerettet hat.“ Und sie deutete auf seine Hand. Zwischen seinen Fingern hielt er noch immer dieses Kräutlein. Es war eine einfache, ganz schlichte Blume, aber in ihrer Einfachheit vollkommen, hatte er solch eine doch noch nie in seinem Leben gesehen. Die Salige sagte: „Was du da hältst, das ist das Kraut gegen den Tod. So lange du dieses Kräutlein bei dir hast, so lange wird der Tod zu dir nicht kommen.“
Ein Kraut, das ihn vor dem Tod beschützen kann, ja darauf würde er sicherlich gut Acht geben, und er steckte es in die Tasche. Mit einem Lachen verschwanden die drei Frauen.
Der Bursche machte sich nun wieder auf seinen langen Weg den ganzen Berg hinauf, dass er zu seinen Tieren kommt. Wie der Zufall manchmal so spielt, die verloren geglaubte Ziege hatte den Heimweg von ganz alleine gefunden.
Der Sommer verstrich. Im Herbst konnte er dem Bauern eine unversehrte Herde zurückgeben, vermehrt um die Zicklein, die in diesem Jahr auf die Welt gekommen waren.
Und jetzt war der Bursche auch alt genug um zu einem Meister in die Lehre zu gehen. Der alte Tischlermeister im Ort suchte gerade einen Lehrling und er nahm ihn an. Ein fleißiger Bursche war er und arbeitsam, verbrachte Jahre des Lernens, Jahres des Arbeitens bis er ein ausgelernter Geselle war, oder so weit, wie man als Geselle ausgelernt sein kann. Denn nun kamen die Jahre der Wanderschaft. Er lernte immer mehr über sein Handwerk, über seine Kunst und zog durch die Nachbarorte und dann durch die Nachbarländer.
Als er nach Jahren der Wanderschaft wieder heimkehrte, war er ein wahrer Meister seines Fachs geworden. Der alte Tischlermeister in Niedernsill war alt geworden und wollte sich zur Ruhe setzen. Ja, und jetzt wurde der Bursche sein Nachfolger.
Er arbeitete dort und wie es im Leben eben so geht, eines Tages verliebte er sich. Das Schöne daran, er wurde wieder geliebt und die beiden heirateten.
Und dann – ein Kind kam auf die Welt.
Es war wahrhaftig ein Glück, der größte Schatz, den man auf –Erden haben kann. Und der Schatz vermehrte sich, ein zweites wurde geboren und ein drittes. Die Familie wurde immer größer und er konnte seinen Kindern zusehen, wie sie langsam heran wuchsen. Das Leben nahm seinen Lauf, eines Tages, eines seiner Kinder verliebte sich, heiratete, bekam wieder ein Kind, sein Enkelkind. Die Familie wuchs und gedieh. Er sah wie sie alle heran wuchsen, dann seine Urenkel.
Auch wenn er mittlerweile ein alter Mann geworden war, um den Tod brauchte er sich ja nicht zu bekümmern.
Eines Tages dann sah er seine Frau, wie sie stirbt und wie er nichts dagegen tun konnte, bloß sie auf den Friedhof zu ihrer letzten Ruhestätte zu begleiten. Wenig später dann eins der Kinder, eins der Enkelkinder. Und von da an wurde er den Tod nicht mehr los. Auf dem Friedhof immer mehr Gräber, immer mehr von seinen Liebsten, die er dort zur letzten Ruhe bettete.
Zu ihm am der Tod nicht. Er war mittlerweile steinalt geworden, der Tod war dennoch sein treuester Begleiter in diesem alten, alten Leben - ein Leben voller Kummer, voller Schmerz und Verlust. Aber in diesem traurigen Alter, da gab es wenigstens einen Lichtblick. Daswar die Liesel, eine von seinen Urenkelinnen. Ach, die war immer gut aufgelegt, immer fröhlich, immer freundlich. Wo sie hinkam, da verbreitete sie Freude. Sie war ihm wahrhaftig ein Lichtblick.
Dann, kam ein Freudentag. Es war der Hochzeitstag der Liesel, mitten im Winter, knapp nach Neujahr.
Nun stand der Tischlermeister schon draußen vor seiner Werkstatt und sah, wie sich auf dem großen Platz alle versammeln. Da war die Liesel, der Bräutigam, die Familienmittglieder, die Verwandten, die Leute aus dem Dorf, die Leute aus den Nachbardörfern. Und jeden Einzelnen von denen kannte er, jeden, aber nicht diesen Einen.
Wer mochte das nur sein, dieser Fremde, in einen schwarzen Mantel gehüllt, eine schwarze Kapuze, so tief in die Stirn gezogen, dass man das Gesicht gar nicht erkennen konnte, der sich nun Schritt für Schritt für Schritt der Liesel näherte, nun so nahe war, dass er die Hand nach ihr ausstrecken konnte, mit Fingern so bleich und dürr  wie… „Liesel komm doch kurz her, ich habe mit dir noch etwas zu besprechen!“ Und er führte sie in seine Werkstatt hinein und er sagte zu ihr: „Ach Liesel, was für ein Tag, du bist wahrhaftig eine schöne Braut, wie ich sie in meinem Leben nur ein einziges Mal gesehen habe. Aber weißt du, was ich wirklich schade finde? Eine Braut, so hübsch und hat nicht mal eine Blume im Haar. Ja, ich weiß, was du sagen willst. Wir haben es gerade mitten im Winter, da blüht nichts. Aber ein Mann wie ich, der weiß dem abzuhelfen.“
Und er fasste in die Tasche hinein und er holte die Blume, das Kraut gegen den Tod hervor, vor so vielen Jahren gebrochen, genau so frisch, wie am ersten Tag. Und er steckte sie ihr ins Haar und sagte noch: „Möge sie dir ein langes und glückliches Leben schicken. Und - vielleicht erinnert sie dich ab und zu an mich. Ach ja, und eh ich es vergessen, sag den anderen, ich werde heute doch nicht mitkommen. Sie müssen das verstehen. Ich bin ein alter Mann.“
Ein letzter Kuss auf die Stirn, ein Lebewohl und er begleitet sie zur Tür hinaus, sieht ihr nach, wie sie den Platz überquert, wie sich der Hochzeitszug formiert und dann verschwindet einer nach dem anderen in der Kirche.
Der einzige, der auf dem Platz zurück geblieben ist, ist der alte Tischlermeister. Und dann ist da noch einer, gleich neben ihm. Es ist der Fremde mit dem schwarzen Mantel, mit der schwarzen Kapuze, und als der Tischlermeister ihm jetzt ins Gesicht sieht, nicht länger ein Fremder. Da sagt der Tischlermeister: „ Bist du also doch noch gekommen, ganz am Ende.“ Und bei diesen Worten, da blüht auf seinem Lippen ein Lächeln.
Salige Frauen = auch genannt Salkweiber, Salaweiber, wilde oder weiße Frauen sind Gestalten der Sagenwelt vorwiegend der Alpenregion.
Die saligen Frauen werden als scheue, aber hilfsbereite und weise Frauen beschrieben. Sie lebten früher in Felsen- und Gletscherhöhlen oder am Ufer der Drau. Sie waren menschenscheue Geschöpfe, doch standen sie unerwarteten Besuchern mit Rat und Tat zur Seite. Sie halfen armen Bauern und unbeholfenen Menschen.


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